Manus Homepage über die Zeit

Der thermodynamische Zeitpfeil

Der thermodynamische Pfeil gibt die Zeitrichtung an, in der die Unordnung (Entropie) zunimmt. Stellen wir uns beispielsweise ein Puzzle vor, das sich in einer Schachtel befindet. Es gibt nur eine einzige Anordnung, in der sich die Teile zu einem Bild zusammenfügen. Im Gegensatz dazu gibt es eine sehr große Anzahl an Kombinationen, bei denen die Teile ungeordnet sind und kein Bild ergeben.

Geordnetes Puzzle
Ungeordnetes Puzzle

Schütteln wir die Schachtel, werden die Teile eine andere Ordnung annehmen. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit befindet sich das Puzzle danach in einem Zustand, in dem die Teile kein Bild ergeben. Möglicherweise lassen noch manche Teile Bruchstücke des Bildes erkennen. Durch weiteres Schütteln der Schachtel steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass sich auch diese Reste an Ordnung vollständig auflösen und keine Ähnlichkeiten mehr mit dem eigentlichen Bild erkennen lassen. Genau das ist das Prinzip der Entropie. Die Unordnung in einem System nimmt zu, wenn man die Dinge sich selbst überlässt und die Ausgangssituation in einem Zustand großer Ordnung beginnt.

Einer der bekanntesten Wissenschaftler unserer Zeit, der an den Rollstuhl gefesselte, englische Physiker Stephen Hawking beschreibt in seinem Bestseller „Eine kurze Geschichte der Zeit“ die Entropie gegen Ende des neunten Kapitels wie folgt:

Wenn Sie sich an jedes Wort in diesem Buch erinnern, sind in Ihrem Gedächtnis etwa zwei Millionen Informationseinheiten gespeichert: Die Ordnung in Ihrem Gehirn ist um zwei Millionen Einheiten angewachsen. Doch während Sie das Buch gelesen haben, sind mindestens tausend Kalorien geordneter Energie - in Form von Nahrung - in ungeordnete Energie umgewandelt worden - in Form von Wärme, die Sie durch Wärmeleitung und Schweiß an die Luft abgegeben haben. Dies wird die Unordnung des Universums um ungefähr zwanzig Millionen Millionen Millionen Millionen Einheiten erhöhen - also ungefähr um das Zehnmillionenmillionenfache der Ordnungszunahme in Ihrem Gehirn. Und das gilt nur für den Fall, daß Sie sich an alles, was in diesem Buch steht, erinnern.

Ohne Entropie wäre jede Form von Leben unmöglich. Stellen wir uns vor, alle weiblichen Wesen befänden sich am Nordpol und alle männlichen am Südpol. Ein Fortbestand der Menschheit wäre somit ausgeschlossen. Entropie begegnet uns im Alltag öfter, als uns wahrscheinlich bewusst ist.

GemüsepfanneVor einer Stunde stand ich in der Küche und machte mir Gemüse in einer Pfanne. Das Gemüse war dabei relativ gleichmäßig in der Pfanne verteilt. Es besaß somit ein hohes Maß an Entropie. Während des Bratens bewegte ich das Gemüse mit einem Löffel, wofür ich eine gewisse Energie aufwenden musste. Die Entropie in der Pfanne nahm dabei leicht ab. Vereinzelt entstanden leere Bereiche, in denen sich kein Gemüse befand. Um diesen ungewollten Effekt wieder auszugleichen, schwenkte ich die Pfanne kurz hin und her. Das Gemüse verteilte sich sofort wieder gleichmäß in der Pfanne und nahm somit wieder einen ungeordneteren, also wesentlich wahrscheinlicheren Zustand ein.

Ein Problem im Umgang mit unserer Thematik liegt in der Definition des Wortes „Unordnung“. Eine Menge mit gleichmäßig verteilten Teilchen stellt in einem gewissen Sinne wieder eine Ordnung dar. Wir neigen dazu, diese Unordnung als noch unordentlicher zu betrachten, sobald diese Unordnung an bestimmten Stellen durch Ordnungsanteile „gestört“ wird (siehe rechtes Bild).

Entropie schematisch
Entropie schematisch mit geordneten Bereichen

Entropie im Alltag erfordert Abhilfen. Eine Wohnung muss regelmäßig geputzt und aufgeräumt werden (Umverteilung von Zuständen), um der Zunahme von Unordnung in diesem System (der Wohnung) entgegenzuwirken. Ein weiteres Beispiel wäre eine Mülldeponie. Alles, was hier landet, wurde lediglich in ein übergeordnetes System (die Deponie) verlagert.
Mülldeponie
Entropie entsteht auch beim Betrieb von Computern. Der Speicher eines Computers besteht aus Speicherzellen, die vom System in eine bestimmte Ordnung gebracht werden. Um diese Ordnung herzustellen, und um sie zu halten, ist eine gewisse Menge Energie erforderlich. Diese wird in Wärme umgewandelt und erhöht somit das Maß an Unordnung im Universum. Diese Zunahme von Unordnung ist in jedem Fall größer als die erzeugte Ordnung im Computerspeicher.
Wenn wir schon bei der Computertechnik sind: Auch die Fragmentierung von Datenträgern wie zum Beispiel einer Festplatte, ist ein nettes Beispiel für Entropie.

Auf einer Festplatte werden ständig Daten gespeichert und wieder gelöscht. Dies geschieht grundsätzlich in Datenpaketen, nämlich in Dateien. Speichern wir eine Datei auf unserer Festplatte, so wird ein bestimmter Bereich unseres Datenträgers für diese Datei reserviert. In Zuordnungstabellen wird genau festgelegt, welcher Datei welcher Bereich für ihren Inhalt auf dem Datenträger zugeordnet ist. Speichern wir eine weitere Datei ab, wird eine neue Tabelle angelegt... Soll jetzt der Inhalt der zuvor gespeicherten Datei überschrieben werden, entstehen, je nach Größe des neuen Inhalts, entweder Lücken, oder ein Teil des Inhalts muss auf einen anderen Datenträgerbereich gelegt werden.
Fragmentierung im Dateisystem Schema
Auf diese Weise entsteht im Laufe der Zeit eine sehr ungeordnete Struktur der Anordnung von Dateiinhalten auf der Festplatte, und auch Dateizugriffe werden zunehmend träger. Um diesen entropischen Effekt wieder auszugleichen, bedient man sich Defragmentierungsprogrammen, die durch Verschieben von Datenträgerinhalten diese Ordnung wieder herstellen. Dieser Vorgang benötigt allerdings einige Zeit (und somit Energie), und führt, wie im vorigen Beispiel zu einer Zunahme der Entropie im Universum.
Defragmentierung im Dateisystem
Entropie ist definitiv mehr als „nur“ ein Gedankenexperiment, das sich mit Wahrscheinlichkeiten befasst. Zudem eröffnet sie uns neue Denkweisen im Alltag. Am Ende wird immer die Unordnung gewinnen. Lediglich auf ihre Verteilung haben wir teilweise selbst einen Einfluss. Also sollten wir sie im makroskopischen Bereich vermeiden wo es geht. Das könnte uns viel Zeit beim Aufräumen sparen – und Zeit haben wir doch so wenig!?