Der Augenblick
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass wir den Moment mit einer kurzen Verzögerung wahrnehmen. Das Gehirn muss erst entscheiden, welche Informationen es aus der gigantischen Flut von Eindrücken, die uns unsere Sinne vermitteln, auch wirklich bis an unser Bewusstsein weiterleitet. Vergleichen wir diese Flut an Eindrücken mit den Niagara-Fällen, so erreicht unser Bewusstsein gerade mal so viel, wie ein tropfender Wasserhahn von sich gibt. Aus dieser dann immer noch unvorstellbar großen Anzahl an Einzelinformationen entscheidet unser Gehirn dann schließlich noch, welche davon im Ultrakurzzeitgedächtnis, welche im Kurzzeit- und welche im Langzeitgedächtnis abgelegt werden, wobei diese unterschiedliche Funktionsweisen besitzen.
Zur Wahrnehmung bleibt zu erwähnen, dass wir die Welt nur so wahrnehmen, wie sie unserer Meinung nach sein muss. Selbst die Erinnerung unterliegt dieser Ordnung. Erinnerung ist ein Kompromiss aus Regeln und Erlebtem. Wenn mehrere Personen den Hergang eines Autounfalls berichten, erzählt jeder Zeuge seine Geschichte so, wie er glaubt, dass sich die Dinge ereignet haben. Sie ordnen die Wirklichkeit ihrer Theorie unter. Insofern ist Wahrnehmung nur eine Hypothese über die Wirklichkeit und nicht mehr. Wahrnehmung ist subjektiv. Jeder Mensch nimmt seine Umgebung anders wahr. Jeder lebt sozusagen in „seiner Welt“, hat andere Ansichten und Vorstellungen von dem was richtig, falsch, wahr und unwahr ist. Während der eine Zeitreisen für möglich hält, sind andere wiederum vom Gegenteil überzeugt, da sich diese Vorstellung nicht mit ihrer Weltanschauung vereinbaren lässt.
Wenn wir unsere Realität also nur verzögert wahrnehmen, wann findet dann der Moment statt – also das, was wir eigentlich als „Gegenwart“ bezeichnen? Gibt es die Gegenwart überhaupt? Kaum ist sie da, scheint sie auch schon Vergangenheit geworden zu sein. Kann man eigentlich von „Gegenwart“ sprechen, wenn niemand weiß wie lange sie dauert und wann sie wirklich stattfindet? Sehen wir die Gegenwart vereinfacht als Punkt auf unserer Zeitlinie der sich in Richtung Zukunft bewegt und sich exakt zwischen Vergangenheit und Zukunft befindet, ergibt sich ein weiteres Problem: Was ist Vergangenheit? Da weder die Vergangenheit noch die Zukunft zu irgendeinem erlebten Zeitpunkt existent ist, könnten wir die Vergangenheit als eine Ansammlung von Informationen in unserem Kopf sehen, die sich aus der bereits erlebten Gegenwart ergab. Ein Paradoxon, da wir ja immer noch auf der Suche nach einer Erklärung für den Begriff „Gegenwart“ sind. Mit der Zukunft verhält es sich noch komplizierter. Sie ist lediglich eine logische Schlussfolgerung daraus, dass Vergangenheit und Gegenwart eine Zukunft erfordern. Außerdem ist sie verbunden mit Erfahrungswerten. Wir können davon ausgehen, dass wir irgendwann sterben müssen, da dies bei allen Menschen schon immer so war. Die Wahrscheinlichkeit ist deshalb sehr hoch, dass es uns auch einmal so ergehen wird. Also muss es eine Zukunft geben. Nur greifbar ist sie nie.
Wie lange der kürzeste Moment dauert, hängt wohl vom Betrachter ab. Da keine allgemein gültige Zeit existiert, ist die Frage nach der Dauer des Moments möglicherweise überflüssig. Geht man davon aus, dass sich das Licht mit höchstmöglicher Geschwindigkeit bewegt, könnte man vielleicht behaupten, dass ein Moment solange dauert, wie ein Lichtteilchen am selben Ort verweilt. Diese Dauer ist jedoch unmöglich zu bestimmen. Schon bei der Definition „desselben Ortes“ müssten wir künstliche Grenzen definieren. Die Unschärferelation macht das Ganze noch schwieriger. Von „verweilen“ kann beim Licht wohl keine Rede sein.