Interview mit Prof. Dr. Harald Lesch
Das folgende Interview entstand im Oktober 2002.
Prof. Dr. Harald Lesch ist Professor für theoretische Astrophysik am Institut für Astronomie und Astrophysik in München. Zudem unterrichtet er Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie, ist Moderator diverser Fernsehsendungen (Alpha Centauri, Lesch & Co., Terra-X, Frag den Lesch, Abenteuer Forschung / Leschs Kosmos), schreibt Bücher und hält Vorträge.
Wie man sehen kann ist Herr Professor Lesch ein vielbeschäftigter Mann. Umso mehr freue ich mich darüber, dass dieses umfangreiche persönliche Interview zustande kommen konnte.
Seine erzählerischen Fähigkeiten beweist er uns regelmäßig in seinen TV-Sendungen. Doch wie verhält er sich hinter den Kulissen, wenn weder Kameras auf ihn gerichtet sind, noch zahlreiche Fans ein Auge auf ihn haben?
Die Antwort ist kein Geheimnis: Genauso! Mit der für ihn typischen, sachlich-veranschaulichenden, humorvoll ironischen Art erzählt er euphorisch von Neutronensternen, riesigen Magnetfeldern und grünem Schleim. Und so ist es nicht besonders verwunderlich, dass das ursprünglich geplante 15-Minuten-Interview den vorgesehenen Zeitraum deutlich sprengte und die Zeit trotzdem wie im Flug verging.
Das folgende Interview für wasistzeit.de, für das ich Herrn Lesch zu großem Dank verpflichtet bin, entstand bereits im Oktober 2002, hat jedoch in Sachen Aktualität bis zum heutigen Tag nichts eingebüßt.
Manu:
Als Astrophysiker beschäftigt man sich mit Vorgängen, die für Laien nicht immer nachvollziehbar sind. Neigt man als Physiker nicht manchmal dazu, diese komplexen Denkweisen im privaten Alltag anzuwenden?
Prof. Dr. Lesch:
(lacht) Nein... das tut man nicht. Ich glaube, dass das kein Physiker macht. Wenn man jahrelang Physik studiert und außerordentlich intensiv damit beschäftigt ist, all das überhaupt erst mal zu sammeln was Physik bedeutet, dann sieht man überall Physik. Das ist ein bisschen so wie bei schwangeren Frauen, die überall schwangere Frauen sehen. Man wird einfach sensibel dafür. Aber nach einer Weile verschwindet das, was an der Oberfläche sitzt, dass man sich ständig mit Physik beschäftigt. Die Physik verschwindet in einem irgendwo innen drin. Das ist ein bisschen so wie beim Klavierspieler: Wenn man lange genug Klavier gespielt hat, dann ist man in der Lage, sich ohne Vorbereitung an ein beliebiges Piano in der Bar zu setzen und ein bisschen zu klimpern. Und dann denkt man nicht nach.
Ich glaube, sehr viele Physiker, wenn nicht sogar alle, haben Physik im Blut. Sie haben das in sich drin, ohne dass sie dabei in ihrem Leben ständig davon geprägt werden und darüber nachdenken, warum hier alles stabil ist usw. Wenn man nicht Mensch geblieben ist, hat man erhebliche Probleme. Das gilt ja für alle Wissenschaftler, wenn sie nicht in der Lage sind, aus ihrer komplexen Denkwelt heraus zu kommen, und ich kann für mich sagen, dass das bei mir nicht zu trifft.
Aber es gibt etwas anderes: Physik sensibilisiert einen für Natur im Allgemeinen. Das heißt: Man fängt unter Umständen nach einer Weile damit an, Phänomene in der Natur ganz anders zu schätzen. Man wertet sie ganz anders, und auch wieder ohne dass in meinem Kopf jetzt irgendein physikalisches Modell abläuft, sondern einfach nur: „Wahnsinn...“. Für so etwas sensibilisiert Physik sehr stark. Sollte man nicht meinen, dass sie einen so starken emotionalen Charakter hat, aber sie hat es. Sich zu wundern, wie Wolken entstehen etc., aber ohne gleich über eine Erklärung dafür nachzudenken, denn die könnte man sich ja noch irgendwo aus dem Hinterkopf holen. Das Wundern und das Staunen taucht mit zunehmender Dauer meines Lebens als Wissenschaftler immer mehr und mehr auf.
Manu:
Was war für Sie der ausschlaggebende Grund, genau diesen Beruf zu ergreifen?
Prof. Dr. Lesch:
Ich bin 1960 geboren. Das heißt: Als die Amerikaner auf den Mond geflogen sind, war ich 9. Und heute weiß man, dass Kinder in diesem Alter außerordentlich empfindlich sind für Richtungsentscheidungen. Wenn da was wichtiges passiert in ihrem Leben, dann ist es das, was sie führen wird. Ich bin aufgewachsen in einer Zeit, in der man der Technik viel zugetraut hat. Die Zukunftsvisionen der 60er Jahre, wie es im Jahr 2000 aussehen wird, sind bombastisch gewesen.
Ich bin außerordentlich geprägt worden durch die Amerikanische Weltraumfahrt. Das hat mich schon sehr früh interessiert und das waren ja auch Helden - das waren Jungs, echte Bringertypen würde man sagen, und die waren auch das, was man heute unter „cool“ versteht. Die waren einfach klasse. Und dass die da hoch zum Mond geflogen, da oben gewesen und gelandet sind, das hat mich durchgeknetet bis zum geht nicht mehr. Natürlich wäre ich am liebsten Astronaut geworden, aber das hat nicht geklappt.
Da gab's so eine nette Anekdote am Rande: Ich hatte da einen Brief geschrieben an die Nasa, mit Passfoto von mir, und ich trage seit meinem dritten Lebensjahr eine Brille. Und die Nasa schrieb tatsächlich zurück: „Erstens nehmen wir keine DEUTSCHEN Astronauten und zweitens keine Brillenträger“... Damit war für mich der Fall erledigt, aber sie hatten mir empfohlen, ich solle doch dann Astronom werden. Ich fand diesen Brief unheimlich schön. Leider Gottes habe ich diesen Brief verloren, als meine Großeltern umgezogen sind. Ich habe mich dann relativ früh entschlossen, Physik zu studieren und ich muss sagen (mit leiser Stimme und leichtem Grinsen im Gesicht): „Ich kann auch nix anderes“.
Manu:
Dann würden Sie sich ein zweites Mal sicher wieder für diesen Beruf entscheiden.
Prof. Dr. Lesch:
Also was die Inhalte betrifft, ganz sicher! Aber die zunehmende Bildungsfeindlichkeit in Deutschland, dass man eben beispielsweise der Meinung ist, wenn jemand weiß, wie die Landeshauptstadt von Niedersachsen heißt, dann kann er gleich 500'000 Euro in so einem blödsinnigen Quiz verdienen und das sei wichtiger als z. B. eine ordentliche schulische Ausbildung, das ist schon erhebliche Frustration. Wenn man so das Gefühl hat: Wir sind hier so eine Horde von Knallköpfen, die noch an den Unis hocken und die immer noch der Meinung sind, Ausbildung und Bildung im Allgemeinen ist ein Wert an und für sich, der jenseits von aller Anwendung wichtig ist für uns... und stattdessen heißt es dann immer: Es wird gekürzt! Die Stellen werden gekürzt, und das frustrierendste dabei ist für mich, wie meinen jungen Mitarbeitern, meinen Doktoranden, nicht die Perspektiven eröffnet werden. Dass man eben nicht zu ihnen sagt: „Wenn du ordentliche Wissenschaften machst, dann kannst du dich für dein ganzes Leben selber finanzieren, indem du Anträge stellst bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft“. Stattdessen dürfen das ab einem bestimmten Alter nur noch Professoren. Das verstehe ich zum Beispiel nicht.
Ich bin natürlich heute in der unheimlich privilegierten Lage, Professor an einer deutschen Universität zu sein. Das ist so ziemlich die Krönung. Ich hatte lange genug darunter gelitten, keine Dauerstelle zu haben und so manche Nacht damit verbracht, mir zu überlegen: „Was machen wir denn jetzt eigentlich...?“ Wenn man Familie hat, und diese ständig von einer Ecke zur nächsten schleppt ... und dann wird einem gesagt: „Wir haben hier aber nur einen 3-Jahresvertrag...“ Dann habe ich wirklich mit 35 Jahren gesagt: „Entweder die Stelle kommt jetzt, oder ich geh' raus aus der Astronomie.“ Ich hatte mich schon beworben für eine Stelle an einer Volkshochschule im Rheinland, wo ich lange Zeit gelebt habe, und da wäre ich dann Fachbereichsleiter für Naturwissenschaft und Philosophie geworden, und das wär's gewesen - fertig. Dass das hier in München geklappt hat, das ist wie Ostern und Pfingsten auf einmal. Damit hätte ich nie gerechnet. Wenn ich an meinem Büro vorbei gehe und lese dieses Schildchen „Prof. Harald Lesch“, kommt es mir heute noch manchmal so vor, als könne es nicht wahr sein. Wenn man es mal dorthin geschafft hat, ist es wunderbar. Aber bis dorthin ist es ein außerordentlich schwieriger Weg.
Unsere Studenten, die wir so bekommen, sind oft fantastische Schüler. Sie sind ganz große Klasse, aber sie haben nur eines nicht gelernt, oder zumindest viele davon: Mit Niederlagen um zu gehen. Das heißt, wenn die dann mal eine Klausur so richtig danebengesetzt haben, sind die am Boden zerstört, und zwar nur deswegen, weil die so auf Noten getrimmt worden sind. Menschenskinder, das ist doch dein Leben! Du musst doch deine Entscheidung treffen für etwas, das dich innerlich außerordentlich bewegt. Also soetwas wie Physik macht man nicht, um mal ein paar Jahre herum zu bringen. Entweder man macht es, weil es einen interessiert, oder man macht es nicht. Und da bin ich immer wieder überrascht darüber, wie wenig Freude da nach außen dringt, warum sie das machen. Ich studiere Physik, weil ich es liebe.
Manu:
In einem Bericht wurden Sie „der Anti-Däniken“ genannt.
Prof. Dr. Lesch:
Haha, also ich kenne den Erich von Däniken persönlich. Er ist ein ganz wunderbarer Mensch und ich kann nichts böses über ihn sagen. Ich weiß nicht so genau - wer glaubt mehr an seine Hypothesen - seine Leser oder er. Aber auf jeden Fall sind seine Hypothesen immer sehr interessant. Es lohnt sich, sich damit auseinander zu setzen und sie sind zwar sehr gewagt, aber da könnte ich fast dagegen halten, denn in der Physik gibt es auch jede Menge gewagter Thesen. Solche Theorien wie „Stringtheorien und Paralleluniversen“ sind mindestens genauso gewagt wie die Vorstellung, dass hier pausenlos irgendwelche Außerirdischen landen. Aber ich würde sagen: Erich von Däniken ist ein außerordentlich interessanter Ideengeber.
Es gibt ja in allen Wissenschaften so etwas wie Standardbilder. Nach einer Weile haben alle ungefähr das gleiche Bild. Und alles was gefunden wird, wird versucht, in dieses Standardbild einzuordnen, und wenn es eingeordnet ist, dann sind alle froh. Im Grunde genommen ist es aber langweilig. Viel interessanter ist es, einen Widerspruch zu dem Standardbild zu finden und zu sagen: „Hey, alles Quatsch!“. Und in der Archäologie gibt es natürlich genauso Standardbilder wie in der Physik auch. Aufgrund von Dänikens großer Popularität hat man dann ja auch angefangen, sich mit Nazca, diesen Linien, zu beschäftigen usw. Für viele Sachen gibt es naturwissenschaftlich und historisch saubere Erklärungen und ich denke, dass der Erich von Däniken das auch akzeptiert. Er ist aber ein außerordentlich charismatischer Redner. Wenn der hier nach München kommt, dann sind die Hallen voll und die Leute hören sich das an. Ich bin niemand, der auf dem Herrn Däniken herum hackt. Ich versuche nur, dagegen zu halten, was ich gerne unter „gesundem Menschenverstand“ zusammen fassen würde. Oft sind seine Argumente ja so ein bisschen darauf abgehoben: „Das können die damals überhaupt nicht gemacht haben!“. Das ist Quatsch. Die Leute damals waren auch nicht dumm. Die waren genauso clever wie wir. Natürlich hatten sie überhaupt nicht die Technologie zur Verfügung, aber die Jungs und die Mädels waren gut.
Wir müssen uns viel eher fragen: „Warum können wir das heute nicht mehr tun?“. Es gibt ein ganz tolles Beispiel: Die Amerikaner wären heute nicht mehr in der Lage, eine Saturn 5 zusammen zu bauen. Sie haben das Handwerkszeug verloren dafür. Die Pläne mag es wohl noch geben, aber es ist keiner mehr da, der es kann. Das heißt, wir verlieren über eine relativ kurze Zeit, relativ schnell, relativ viel handwerkliche Fähigkeiten. Wir wären heute überhaupt nicht mehr in der Lage, den Kölner Dom zu bauen. Unsere Architekten sind nicht dazu in der Lage, diese statischen Berechnungen anzustellen. Selbst mit dem Computer wäre das außerordentlich schwierig. Wenn wir etwas sehen, das ein paar tausend Jahre alt ist... wir kennen die Leute nicht, die damals gelebt haben, aber wir wissen eines: Ihre Gehirne waren genauso groß wie unsere. Warum sollen die nicht wahnsinnig clevere Methoden entwickelt haben?
Wir benutzen in den Wissenschaften gerne so eine Art von Ahnenverehrung, wie ich finde, auch völlig gerechtfertigt. Und da gibt es den Satz, dass wir nur Zwerge sind, die auf den Schultern von Riesen stehen, wenn wir den wissenschaftlichen Fortschritt so betrachten. Und ich glaube, dass das häufig unterschätzt wird, und dass wir eben wirklich nur Zwerge sind. Natürlich sehen wir, welche tollen Geräte wir gebaut haben, aber auf der anderen Seite haben wir eben auch viel verloren, und wir sollten nicht unterschätzen: Ein paar tausend Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Wir tun immer so, als wenn das jetzt alles in den letzten 50, 10 oder 2 Jahren passiert wäre und davor wäre nichts gewesen, und danach würde nichts mehr kommen.
Manu:
Um ein Phänomen erklären zu können, suchen wir nach Zusammenhängen. Wir brauchen Vergleiche, um Beobachtungen besser zu verstehen. Ist der Mensch überhaupt in der Lage, die Natur zu verstehen?
Prof. Dr. Lesch:
Das ist eine sehr gute Frage. Die steht natürlich im Mittelpunkt sämtlicher naturwissenschaftlicher Beschäftigungen, wenn man nämlich Phänomene hat, die man nicht einordnen kann. Solange man alles mit den Gesetzmäßigkeiten, die man bis dahin gefunden hat, verstehen kann, ist man ja guter Dinge. Dann hat man zumindest das Gefühl: „Das läuft mir jetzt nicht aus dem Ruder“. Aber ich finde, das ist tatsächlich das Wichtigste, dass es etwas gibt, was wir verstehen können, in dem Sinne, dass wir eine theoretische Überlegung angestellt haben über irgend einen Zusammenhang, der zunächst einmal nur in unserem Kopf war - nur da - und dann auf einem Blatt Papier. Und dessen natürlichen Wiederschein, also das Phänomen in der Natur, haben wir noch nicht gekannt, und tatsächlich: Irgendwann passiert es! Das ist für mich ein Zeichen, dass wir tatsächlich was verstanden haben, oder wie ich gern sage: „Wenn die Naturgesetze falsch sind, dann sind sie verdammt gut falsch“.
Wovon ich eben gesprochen habe, das ist die Entdeckung der Neutronensterne. 1967 sind diese Pulsare entdeckt worden, 10 km kleine Kugeln, und 1931 hat ein Theoretiker, Lew Landau, in Moskau zum ersten mal darüber nachgedacht: „Könnte es nicht Sterne geben, die so dicht sind, dass deren Protonen und Elektronen miteinander zusammenschmelzen zu Neutronensternen?“. Das bedeutet, wir haben da eine ganze Reihe an Jahren dazwischen, in denen das Phänomen „Neutronenstern“ nicht da war. Das hatten dann andere Leute nachgerechnet und haben überlegt: „Also wenn es diese Neutronensternen gäbe, dann müssten sie wahnsinnig starke Magnetfelder haben und sie müssten 10 km groß sein, und wenn so ein Stern auf 10 km schrumpft, dann müsste er sich wahnsinnig schnell drehen usw.“ Da lag also eine ganze Menge an theoretischem Arsenal da, und dann findet die Jocelyn Bell 1967 im November tatsächlich die Radiosignale. Die ersten Objekte wurden ja am Anfang „Little Green Men 1+2“ genannt, und dann stellte man fest: Mensch, das sind die damals von Landau und Oppenheimer und Volkoff announcierten Neutronensterne. Das ist ein echter Hammer, sowas. Und wenn wir nichts anderes mehr gefunden hätten im Universum, das alleine zeigt mir, dass wir zumindest bis zur Kernphysik eine erhebliche Menge an Erkenntnis haben, und zwar nicht einfach nur gemessen, dann eingeordnet, und Feierabend - Nein, wir haben tatsächlich etwas verstanden.
Das Problem ist nämlich ein ganz anderes: Das entsteht dann, wenn man diesen nächsten Schritt macht, also nicht aufgibt bei der Kernphysik mit dem Modell „Das sind alles Kugeln, deren Kräfte miteinander wirken“. Nein - man findet heraus, dass diese Kugeln noch Unterkugeln haben: Quarks. Und dass die Protonen und Neutronen sich miteinander verwandeln können. Möglicherweise haben die Quarks nochmal eine Unterstruktur usw. usw., und dann landet man bei einem Irrsinn. Man könnte sich zum Beispiel mal folgendes Experiment ausdenken: Wir nehmen eine Flasche Cognac. Der Physiker hat jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder er trinkt einen Schluck, oder er beginnt damit, in diesen Cognac mit Experimenten einzudringen. Er stellt natürlich fest: Da sind Moleküle drin. Er bricht sie auf und findet Atome. Dann bricht er die Atomkerne auf, bricht die Quarks auf und bricht auf und auf und auf und am Ende landet er im Nichts. Und dann fragt er sich: „Wieso kann mich eine Flasche Cognac überhaupt besoffen machen, wenn da im Grunde genommen nichts drin ist?“. Da liegt nämlich der Hase im Pfeffer, dass alles, was wir beobachten, nicht die Summe seiner Teile ist, sondern mehr. Viel mehr! Dieser Satz stammt von Aristoteles, der darauf hingewiesen hat, dass es Verbindungen gibt. Das heißt, ein Verständnis der Natur hat immer was damit zu tun, diese Verbindungen zwischen verschiedenen Teilen kennen zu lernen. Das ist das Problem. Wir Physiker neigen ja sehr stark zum Reduzieren. Wir versuchen, ein Problem möglichst auf etwas handhabbares zu reduzieren, denn damit können wir umgehen, das können wir berechnen, das können wir simulieren. Aber ich glaube, je mehr wir reduzieren, umso weniger werden wir die Welt verstehen, denn ein Verständnis für die Welt kriegt man nur dann, wenn man das eine tut, ohne das andere zu lassen. Also das „Erpressen der Natur“, wie der Herr Heisenberg dieses Experiment in der Physik einmal genannt hat, auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite auch zu schauen: Wie hängt jetzt das eine mit dem anderen zusammen. Und dabei sollte man eines nicht vergessen: Die Natur hat sich eine Menge Arbeit gemacht, um uns hervor zu bringen. Ich würde uns nicht als die Krone der Schöpfung bezeichnen, aber wir sind eine Menge wert - jeder Mensch - und das bedeutet, dass im Mittelpunkt sämtlicher wissenschaftlicher Betätigung immer der Mensch stehen muss. Es ist ganz wichtig, dass man aus dem Erfolg der Naturwissenschaften nicht das macht, was in der Soziologie unter dem Stichwort „Mc Donaldisierung“ verstanden wird: Dass man nämlich alles nur zählt. Nach dem Motto: „Wir haben 6 Milliarden Big Macs verkauft“ - das sagt nichts über die Qualität dieser Big Macs aus, sondern nur: Sie sind eben 6 Milliarden mal über den Tisch gegangen. Also das Qualitative - der Wert - muss vor der Zahl stehen.
Manu:
Welche Stellung nimmt die Philosophie in der Wissenschaft ein? Wo sind die Grenzen zwischen beiden und ergänzen sie sich vielleicht sogar gegenseitig?
Prof. Dr. Lesch:
Ich habe da meine ganz persönliche Erfahrung gemacht. Seit ein paar Monaten bin ich an der Hochschule für Philosophie. Ich bin dort beauftragter Professor für Naturphilosophie, weil ich mit dem Kollegen von dieser Hochschule ein paar Seminare zusammen gemacht habe und die Studenten das sehr gut fanden, das von zwei Seiten mal zu hören. Das waren immer gemischte Seminare zwischen Naturwissenschaftlern, also Studenten, die Physik, Mathematik, Biologie oder Chemie studieren und auf der anderen Seite welche, die Philosophie im Hauptfach machen. Eine irre Geschichte! Es gab außerordentlich interessante Diskussionen und heftige Auseinandersetzungen. Ich für meinen Teil könnte mir gar nicht mehr vorstellen, ohne Philosophie Naturwissenschaften zu betreiben. Das ist für mich nicht denkbar. Ganz kritisch gesprochen würde ich sagen, dass Naturwissenschaft ohne Philosophie eine blanke Aufnahme von Daten ist, ohne wirklich die Frage zu stellen: „Was bedeutet es eigentlich?“. Also dabei geht es wieder um das Menschenbild, und warum jemand so etwas macht.
Ich halte Philosophie für eine sehr wichtige Sache. Ich bin außerordentlich skeptisch, wenn es darum geht, Sprachphilosophie zu betreiben, also Texte auseinander zu nehmen usw. Im Wesentlichen ist es doch das, was die „Vorsokratiker“ in der griechischen Philosophie gemacht haben. Die ganz klassische Philosophie ist das, was man „Physik“ nennt. Dass die Physik sich von der Philosophie unabhängig gemacht hat, das hatte ja ganz andere Gründe - historische Gründe - weil die Philosophie sehr stark in die theologische Ecke reingerückt ist, und diese Durchmischung von Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften war eine ganze Weile lang ein ganz zentrales Thema von jedem Intellektuellen, zumindest in der westlichen Welt, und ich bedauere es sehr, dass das so auseinander gegangen ist. Ich muss ehrlich gestehen, ich habe schon viele wunderbare Gespräche und Konferenzen erlebt, an denen Theologen, Philosophen und Naturwissenschaftler teilgenommen haben. Das ist außerordentlich erfreulich, nicht zuletzt deswegen, da sich niemand profilieren muss mit dem anderen. Das sind Leute, die häufig auch gute Freunde werden durch solche Konferenzen. So ist es bei mir passiert. Den Kollegen Christian Kummer habe ich dort kennengelernt. Wir waren bei einem dieser Workshops nebeneinander gesessen und haben dann festgestellt: Wir arbeiten beide in München und kommen unglaublich gut miteinander aus. Ich will das nur sagen, weil ich nicht gerne fordere, dass man das so formalisiert, alles müsse interdisziplinär werden, sondern das ist für mich nur wieder ein Beispiel dafür, dass Menschen miteinander agieren. Und wenn die miteinander können, dann können die tollsten Dinge passieren. Und ansonsten kann man von oben verordnen, was man will - wenn die Chemie nicht stimmt, passiert da nix.
Ich bin darüber sehr sehr glücklich, dass ich das wirklich machen kann - dass ich an dieser Hochschule für Philosophie arbeiten kann - dass ich mit meinem Freund Willi Vossenkuhl, der Philosoph an der LMU ist, was zusammen machen kann. Wir machen demnächst ein Seminar über Determinismus und Willensfreiheit - dass ich diese Universität als akademische Landschaft nutzen kann... wo gibt's jemand interessanten, was ist das für eine Person, erzähl mir was, ich will was hören... das ist irre, was sich da tut! Und es wird viel zu wenig in Anspruch genommen, da sehr viele, glaube ich, gerne etwas erzählen über das, was sie machen, und das auch sehr gut können.
Manu:
Lässt sich die Wissenschaft auch mal von Emotionen leiten?
Prof. Dr. Lesch:
Ganz ausgeschlossen sind Emotionen natürlich nie. Man kann sich noch so gut davor in Acht nehmen. Natürlich hat man seine Vorstellungen, man hat seine Wünsche, und manchmal ist es auch außerordentlich kriminelle Energie, die dazu führt. Wir haben jetzt gerade den Fall mit dem Herrn Schön, wo offenbar in erheblichem Maße experimentelle Ergebnisse gefälscht worden sind. Dieser Herr wäre fast noch Bankdirektor geworden. Also es ist schon problematisch.
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass man sehr lange an einem Ergebnis hängt, weil man der Meinung ist, das würde gewissen ästhetischen Grundsätzen besser entsprechen als andere Sachen. Und deswegen weigern sich auch manche Kollegen, sich mit der sogenannten „Wald- und Wiesenphysik“ zu beschäftigen, weil die eben überhaupt nicht mehr ästhetisch ist. Es ist sicher so, dass das eine ganz wichtige Rolle spielt. Interessant ist es natürlich dann, wenn das persönliche Gefühl von Ästhetik und Schönheit sich dann tatsächlich auch in der Natur wiederspiegelt, also Symmetrieüberlegungen anzustellen und dann zu sehen: „Da steckt ja tatsächlich was dahinter“. Das ist dann natürlich ein persönlicher Kick, wenn man sich so persönlich bestätigt fühlen darf. Aber ich würde sagen, das ist nicht unbedingt Voraussetzung dafür, dass man erfolgreich Physik machen kann. Aber eine interessante Frage.
Manu:
Naturwissenschaftler sind auf der Suche nach Erklärungen dafür, warum unsere Welt so ist, wie wir sie vorfinden. Doch ist unsere Welt überhaupt erklärbar? Oder tun sich für jede Antwort, die wir finden, nicht automatisch neue Fragen auf? Beißt sich da die Katze nicht in den eigenen Schwanz?
Prof. Dr. Lesch:
(lacht) Jaja... das ist eine interessante Frage, die sich in letzter Zeit häufig gestellt wird, und die in letzter Zeit auch häufig zu ganz unterschiedlichen Antworten geführt hat. Da gibt es z. B. eine Bewegung in den Naturwissenschaften, die die Hypothese aufstellt, die Naturwissenschaften werden irgendwann mal in ihrer Grundlagenforschung am Ende sein, weil sie durch ihre Erfolge - also der immer deutlicher werdenden Verbesserung ihrer Messmethoden - auf einmal an einem Punkt angekommen ist, wo sie praktisch nur noch das Rauschen misst, aber nichts mehr sonst. Das stimmt natürlich bei etlichen Quantenexperimenten in der Tat auch. Irgendwann ist einfach Feierabend. Da sagt uns die Heisenbergsche Unschärferelation einfach: „Vergiss es, jetzt ist Schluss“. Das heißt also: Dinge, von denen wir leben in den Naturwissenschaften, nämlich dem Unterschied zwischen Ursache und Wirkung, lassen sich irgendwann nicht mehr auseinander nehmen.
Auf der anderen Seite stimmt aber auch, dass jede Frage praktisch mindestens eine, wenn nicht sogar zwei oder drei Fragen wieder aufmacht. Man ist hier gerade mal irgendwo zuende, und schon reißt es an einer anderen Stelle wieder auf. In der Astronomie ist es manchmal noch schlimmer, nämlich dass dadurch, dass eine neue Beobachtungstechnologie zur Verfügung steht, auf einmal sich der Blick völlig verändert. Das Alte bleibt zwar bestehen, aber es gibt auch neues. Es wird nochmal drauf gelegt und erhöht den Grad der Komplexität wahnsinnig. Und dann steht man da und muss wieder etwas neues versuchen. Das scheint der Wissenschaft wohl innewohnend zu sein, diese ewige Fragerei. Aber wir haben eine ganze Menge erfahren und ich glaube nicht, dass es irgendwann zum Ende der Physik bzw. Naturwissenschaften kommt. Da gibt's viel zu interessante Dinge, denn man könnte ja auch vom Anfang des Universums mal wieder etwas weggehen und sich um Dinge kümmern, die beispielsweise etwas mit Komplexität zu tun haben, also Nichtlineare Systeme und so etwas. Ich habe da jedenfalls keine Bedenken, dass uns das verrückt macht.
Manu:
Nachwievor sucht man vergeblich nach einer Erklärung für die Schwerkraft in der Quantenphysik. Wird in diesem Bereich weitergeforscht, oder ist die dunkle Materie ein Thema, das den Astronomen weitaus mehr Kopfzerbrechen bereitet?
Prof. Dr. Lesch:
Es gibt ein riesiges Problem, und das ist das Problem der experimentellen Überprüfung von Theorien in diesem Bereich. Wir haben so gut wie keine Möglichkeit, da Theorien zu machen. Um wirklich an die Längenskalen heran zu kommen, wo Quantenmechanik und Gravitation miteinander verschmolzen werden müssen, müsste man Kräfte entfesseln, die völlig außerhalb unserer Möglichkeiten sind. Denn wir reden hier über die Urkraft, die das Universum zur Expansion getrieben hat und immer noch treibt. Das heißt, wir können hier nur Theorien anstellen. Und das ist das große Problem. Wir haben zur Zeit keine Möglichkeiten, experimentell, also durch Beobachtung, hier irgendwelche Hinweise zu liefern.
Die dunkle Materie ist auf Beobachtungen zurück zu führen, und da kann man drüber nachdenken: „Um was handelt es sich, wie passt das mit anderen Beobachtungen zusammen“, etc. Insofern ist sie eine feine Sache, denn man kann ihre Wirkung beobachten. Sie ist natürlich in anderer Hinsicht eine außerordentliche Kränkung für die Astronomen und die Physik, weil wir überhaupt keine Ahnung davon haben, um was es sich handelt.
Wenn es um die Vereinigung von Quantenphysik mit der Gravitation geht, dann ist es so, dass die Öffentlichkeit durch unglaublich viele Sachbuchautoren sehr sensibilisiert worden ist. Ob das dann der Spiegel ist, der auch noch einen drauf legt: „War Gott ein Quantenphysiker“, oder „Hawking und Gott...“ und was weiß ich noch alles. Da wird der Eindruck erweckt, dass jeder an diesem Thema arbeitet. An diesem Thema arbeiten nur außerordentlich wenige Leute, im Grunde so gut wie niemand im Vergleich zu der Anzahl an Leuten, die an anderen Themen arbeiten. Die große Vereinigung von Feldtheorien ist, was die Elementarteilchenphysik betrifft, gerade dabei, zu versuchen, die elektroschwache Wechselwirkung, also die vereinigte elektromagnetische und schwache Wechselwirkung, mit der starken Wechselwirkung zu vereinigen. Da hofft man gerade, die Teilchen zu finden. Aber der letzte Schritt ist noch nicht getan. Und das ist ein interessanter Punkt. Da merken nämlich die Elementarteilchenphysiker, dass sie an einer Stelle ankommen, wo ihnen die Experimente einfach ausgehen. Die können keine Beschleuniger mehr bauen, die von hier bis zum nächsten Stern gehen oder so ähnlich. Das sind aber die Energien, die man braucht, um diese Kräfte zu entfesseln, die da notwendig wären. Und ich glaube, dass genau das ein Gebiet ist, weshalb die Diskussion über das Ende der Naturwissenschaften immer wieder in die Schlagzeilen kommt, weil die Elementarteilchenphysik der Teil der Physik sein wird, der tatsächlich an ein Ende kommt. Das heißt: Es können bestimmte Fragen zwar noch gestellt werden, aber es können keine experimentellen Überprüfungen mehr durchgeführt werden. Das ist das allerschlimmste, was einem Naturwissenschaftler passieren kann: Dass er anfängt, sich nur noch mit Theorien zu beschäftigen, „L'art-pour-l'art“ - Kunst für die Kunst - ohne jede empirischen Anwendungen. Das ist eine absolute Katastrophe. Und deswegen interessiert diese ganze Quantenkiste außer ein paar Freaks niemand.
Aber in der Astronomie sind wir momentan in einem goldenen Zeitalter, weil die Technologie so irrsinnig geworden ist, dass wir Dinge sehen können, wovon wir früher nicht mal träumen konnten. Aber das wird zuende gehen. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Dann muss es wieder andere Fragestellungen geben, die damit zu tun haben, wie Planeten entstehen, wie Sonnensysteme entstehen usw., denn da sind wir noch weit hinter den Daten hinterher.
Manu:
In einer Ihrer Sendungen waren Sie der Meinung, es gäbe kein Wasser auf dem Mars. Gibt es da mittlerweile neuere Erkenntnisse?
Prof. Dr. Lesch:
Es gibt neuere Erkenntnisse, und es scheint Wasser auf dem Mars zu geben. Allerdings muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, wie die das gemessen haben. Das wurde mit Gamma-Spektrographen gemessen. Das heißt, man hat die Gammastrahlung aufgenommen. Die entsteht nur deswegen, weil die kosmische Strahlung auf die Oberfläche des Mars donnert und dort mit Wassermolekülen reagiert. Das ist eine außerordentlich perverse Methode, um Wasser festzustellen. Bei einem normalen Planeten würde man ganz anders vorgehen. Aber beim Mars ist eben alles außerordentlich lebensfeindlich, weil dieses Vieh zum Beispiel kein Magnetfeld hat. Das heißt, diese Strahlung bombardiert ihn gnadenlos. Aber offenbar gibt es Wasser unter seiner Oberfläche.
Das ist ein wichtiger Punkt, den man ab und zu mal sagen muss, dass man als Naturwissenschaftler im Gegensatz zu Politikern offenbar, die das Recht nicht haben, sich manchmal widersprechen muss. Man hat die Pflicht, auch mal zu sagen: „Ok - damals waren wir der Meinung es gibt keins und heute wissen wir, dass es so ist“. Ich fühle mich da nicht irgendwie tief deprimiert und sorgenschwer, sondern das ist wunderbar und so ok.
Manu:
In Science-Fiction-Filmen werden außerirdische Lebensformen meistens sehr menschlich dargestellt, und wie Sie selbst zu sagen pflegen: „Der Außerirdische ist auch nur ein Mensch“. Ist es nicht wesentlich wahrscheinlicher, dass sich das Leben auf einem anderen Planeten unter anderen Bedingungen wesentlich von dem unterscheidet, wie wir es von der Erde her kennen?
Prof. Dr. Lesch:
Man darf eines nicht unterschätzen: Das Leben, das wir sehen auf unserem Planeten, ist das Resultat aus drei- bis viereinhalb Milliarden Jahren Erfolgsstory. Alles, was wir hier auf diesem Planeten sehen, ist eine Erfolgsgeschichte. Das heißt: Auf unserem Planeten sind die Dinge so wie sie sind, weil wir einen Stern haben, der relativ angenehme Temperaturen produziert, weil wir eine Atmosphäre haben, die neben dem Stickstoff aus einem außerordentlich aggressiven Gas besteht, dem Sauerstoff. Wir Lebewesen an der Oberfläche haben uns daran gewöhnt und bestimmte Sensoren entwickelt. Nun, gucken wir uns den Außerirdischen an, dann entscheidet bereits die erste Weggabel darüber, wie dieses hochentwickelte Lebewesen irgendwann einmal aussehen wird. Und das ist die Frage - aus welchen Atomen werden Lebewesen auf anderen Planeten aufgebaut sein? Es gibt eine Definition von Leben, die nicht bestritten wird. Das ist nämlich, dass es sich um organisierte Materie handelt, die sich selbst reproduziert. Um diesen Reproduktionsakt zu vollziehen, muss Information von der bereits strukturierten Materie auf die noch nicht strukturierte Materie irgendwie übertragen werden. Und das scheint in der Tat nur möglich zu sein mit Kettenmolekülen.
Bestes Beispiel ist die Form von Wassermolekülen. Da hat man also einen elektrischen Dipol, der hat 105°, und dieses Wassermolekül führt nun dazu, dass die anderen Wassermoleküle, die eben auch elektrische Dipole sind, sich in einer gewissen Art und Weise anordnen. Das heißt: Schon die Eigenschaft von Wasser enthält Informationen, schlichtweg deswegen, weil die Moleküle nicht wie beim Schwefelwasserstoff wie eine Hantel aufgebaut sind. Deswegen ist Schwefelwasserstoff bei den normalen Temperaturen eben auch nicht flüssig, sondern längst zu Gas geworden. Beim Wasser haben wir es also mit einem Dipol zu tun, und das ist so eine Form, bei der die Wasserstoffbrückenbildung dazu führt, dass Kettenmoleküle sich stärker verbinden können. In der DNS z. B. hängt die Wasserstoffbrückenbindung wie so eine Art Leitersprosse dazwischen.
Das heißt, wir müssen danach fragen: Welche Atome können Kettenmoleküle bauen? Und da gibt es nur zwei im Periodensystem. Und dieses scheint vollständig zu sein. Es gibt keine Elemente, die uns da fehlen. Das eine ist Kohlenstoff, das andere Silizium. Nehmen wir unseren Planeten als typisches Beispiel für einen Planeten, auf dem Leben entstanden ist. Auf diesem Planeten gibt es viel mehr Silizium als Kohlenstoff. Aber wir atmen nicht Siliziumoxid aus, sondern Kohlendioxid. Das ist auch gut so, denn wir beide hätten hier erheblich zu tun, mit dem ganzen Sand fertig zu werden, den wir da ausatmen. Der Grund dafür ist natürlich letztlich in der Physik zu suchen. Siliziumketten funktionieren nur bei sehr niedrigen Temperaturen. Und die Chemie bei sehr niedrigen Temperaturen, das weiß jeder bei seiner Gefriertruhe, ist sehr langsam. Damit hat sich der Fall erledigt. Und zudem finden wir eben jede Menge Kohlenwasserstoffverbindungen im Weltraum. Also selbst da draußen, wo alles eklig ist: Kohlenstoff ist es! Wenn es Kohlenstoff ist, dann wissen wir auch den Energiebereich, den der Stern haben muss, damit Kohlenwasserstoffverbindungen überhaupt existieren können. Wir können das nicht in einem Stern haben, der UV-Strahlung in seinem Maximum hat, wir können es auch nicht in einem Stern machen, der zu infrarot ist, also zu schwach. Und das ist genau so ein Stern wie die Sonne. Man kann eine ganze Reihe von Argumenten finden, warum wir uns nicht wundern sollen, dass die Katze ihre Löcher da im Fell hat, wo sie ihre Augen hat, bzw. warum wir hier sind. Offenbar ist das alles außerordentlich gut aufeinander eingerichtet. Ein Stern, der so ähnlich eingerichtet ist wie die Sonne, der also sein Maximum im gelbgrünen Licht hat, mit einem Planeten, der in der richtigen Entfernung ist usw., der wird bestimmte Temperaturen erzeugen. Und dann wird's interessant. Wenn nämlich dieser Planet etwas zu schwer ist, dann gast er zu viel aus. Dann ist der Druck auf die inneren Steine zu groß und es bildet sich zu viel Kohlendioxid. Kohlendioxid erzeugt den Treibhauseffekt, und das wissen wir alle, das hat keinen Wert. Er darf auch nicht zu klein sein, sonst verliert er zu viel atmosphärisches, wie beim Mars. Wenn es Marsmännchen gäbe, dann hätten die einen Brustkorb wie einen Container. Das alles führt dazu, dass wir versuchen, in die Nähe von irdischen Zuständen zu kommen.
Warum sehen wir so aus? Wir haben Augen, um uns vernünftig zu orientieren. Wir sind genau in dem Bereich empfindlich, in dem die Sonne ihr Maximum hat, und wir haben Ohren, weil wir in einem Medium existieren, das Schallwellen überträgt. Das macht auch Sinn. Nicht nur zur Orientierung, sondern auch zum Austausch von Informationen. Ich will damit nur wiederholen, dass wir gar nicht so weit entfernt sind von, ich will jetzt nicht sagen, einer Art 08/15-Schnitt der Lebewesen. Aber wenn es auf einem Planeten überhaupt gelingt, dass Lebewesen sich aus Einzellern überhaupt gebildet haben, was immer noch die Frage ist, dann kann ich mir gut vorstellen, dass die irgendwie so ähnlich aussehen. Vielleicht haben die ein paar Finger mehr oder so was, aber dass z. B. irgend ein Lebewesen zwei Gehirne hat, halte ich für außerordentlich problematisch. Dann sind die ewig im Widerstreit miteinander, und das ist sicherlich schwierig. Oder wenn ein Lebewesen einen Stoffwechsel hat, wo es pausenlos fressen muss wie verrückt, das ist auch nichts. Also es werden sich da schon die Erfolgsrezepte durchdeklinieren und irgendwas bleibt dann übrig. Irgendwie werden sie schon aussehen. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir sie erkennen können. Das ist wichtig: Dass wir sie als Lebewesen erkennen können und dass es sich nicht um Steine handelt, die alle 600 Millionen Jahre mal mit dem Auge blinzeln und dann eine riesen Geschichte erzählt haben. Ich glaube auch nicht, dass Gaswolken lebendig sind, obwohl es solche Theorien gibt.
Manu:
Glauben Sie ganz persönlich an die Existenz außerirdischen Lebens in unserem Universum?
Prof. Dr. Lesch:
Ja! Grüner Schleim! Grüner Schleim in Hülle und Fülle, aber komplexe Lebewesen halte ich für ausgeschlossen selten. Ich bin ganz sicher, dass es Planeten gibt, die so ähnlich wie die Erde sich um einen ähnlichen Stern herum drehen und Materie sich organisiert hat, also anorganische Materie zu organischer, und es bis zu richtigen biochemischen Prozessen durchgeschafft hat. Aber dann wird's schwierig.
Wenn wir unseren Planeten anschauen: Er ist perfekt für Leben ausgerüstet und es hat MILLIARDEN Jahre gedauert, bis es endlich mal geklappt hat. Wir haben wirklich viel Dusel gehabt. Ich glaube, dass es viele Planeten im Universum gibt, wo grüner Schleim ist, und dass er relativ häufig auch ruckzuck wieder verschwindet, weil der Planet bombardiert wird, oder warum auch immer.
Manu:
Wäre es dann überhaupt von Bedeutung, ob dieses Leben intelligenter Natur ist?
Prof. Dr. Lesch:
Es wäre natürlich der Triumph, wenn wir überhaupt Leben fänden, wie z. B. mit dem „Projekt Darwin“. Da wird ja in etwa 20 Jahren nach Ozon gesucht. Ozon ist eines der ganz wichtigen Moleküle, das etwas darüber verrät, dass sich auf einem Planeten Biochemie abspielt. Wenn man da was fände, das wäre ein Triumph, denn das würde bedeuten wir können wirklich über Leben etwas sinnvolles aussagen. Unsere Vorstellungen darüber würden sich auf andere Planeten übertragen lassen. Das wäre natürlich ein riesen Nagel für uns, dass wir unsere Plakette an die Tür der menschlichen Geschichte hängen könnten. Das wäre fantastisch!
Aber in der öffentlichen Debatte, da interessiert sich kein Mensch für den grünen Schleim. Man will natürlich die Lichtwesen haben, die ihre Patentrezepte über uns ausschütten. Das ist es doch, was wir uns von ihnen erhoffen. Wenn man sich vorstellt, hier würde ein Raumschiff herkommen und dann kämen da irgendwelche Regenwürmer raus... das will man doch nicht. Das wäre doch widerlich.
Manu:
Die Erde hat im Laufe ihrer Evolution unzählige Versuche unternommen, sie erfolgreich mit Leben zu besiedeln (Beispiel: Dinosaurier). Kann man davon ausgehen, dass die Menschheit die letzte Phase in der Entwicklung unserer Erde ist?
Prof. Dr. Lesch:
(lacht) Nein! Auf keinen Fall! Dafür sind wir viel zu kurz auf diesem Planeten, um auch nur annähernd darüber nachdenken zu dürfen. Wir sind möglicherweise diejenigen, die das Licht ausmachen, wenn wir so weiter machen. Aber ich denke, da wird man schlicht und ergreifend nach einer Weile von Jahren zur Kenntnis nehmen müssen, dass der Mensch ein Teil der Natur ist, und dass die Natur ihn vertreiben wird. Und wir sind sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Das glaube ich nicht.
Manu:
Wie darf man sich einen Arbeitstag im Leben des Herrn Professor Lesch vorstellen?
Prof. Dr. Lesch:
Sonnenaufgang, Mittagessen, Sonnenuntergang...
Nein, das kommt darauf an wann. Im Semester habe ich sehr viel mit Vorlesungen zu tun. Das heißt, ich fange morgens an und halte meine Vorlesungen. Ich bin im Dekanat zur Zeit, ich bin Prodekan von einer Physik-Fakultät, d. h. ich erledige einige Verwaltungsaufgaben, komme ans Institut zurück und habe hier einige Verwaltungsaufgaben zu erledigen, rede mit meinen Studenten, ich habe eine Gruppe von Diplomanten und Doktoranten und wissenschaftlichen Mitarbeitern, d. h. hier gibt's häufig ellenlange Diskussionen über Projekte, die wir momentan fahren, ich schreibe ein bisschen was und fahre abends nach Hause. Und das ist es eigentlich. Ich habe ziemlich viele verschiedene Aktivitäten, die parallel laufen. Dann arbeite ich an einem Philosophie-Seminar und an einer Vorlesung und korrigiere einen Artikel, den wir schreiben. Das ist ziemlich unterschiedlich.
Manu:
Bleibt da noch genügend Zeit fürs Privatleben?
Prof. Dr. Lesch:
Ja sicher, natürlich. Ich arbeite nicht 60 Stunden die Woche.
Manu:
Gibt es Themen, die Ihnen am Herzen liegen und über die Sie gerne öffentlich sprechen würden, die aber nicht ins Konzept von Sendungen wie „Alpha Centauri“ oder „Lesch & Co.“ passen?
Prof. Dr. Lesch:
Nee. Das, was ich in den Sendungen mache, ist das, was mich interessiert. Das muss ich mal ganz ehrlich sagen. Ich bekomme immer eine ganze Menge Post und versuche auch, die zu beantworten, aber das, was ich mit dem Willi zum Beispiel mache oder in Alpha Centauri - das sind Themen, die mich interessieren. Ich habe eine riesen Liste mit Themen, die ich noch nicht einmal angefasst habe, wo es einfach nur darum geht: „Ja, das muss jetzt mal gemacht werden, darüber müssen wir mal reden“. Wenn der Bayerische Rundfunk mich lässt, dann werde ich so lange weiter machen, bis sie mich aus dem Studio rausschieben müssen. Das macht mir ein viel zu großes Vergnügen, diese beiden Sendungen zu machen, und mit dem Willi da so ein bisschen wie die beiden aus der Muppets-Show über die Lage her zu ziehen, sich ein bisschen auf die Schippe zu nehmen.
Was ich gern' noch machen würde wie jetzt bei Alpha Centauri - mal gucken, wie der BR dazu steht - ich würde gerne griechische Philosophen vorstellen, auch so 15 Minuten - also da unten beispielsweise in die Nationalsammlung reingehen und sagen: „Hier, das ist der Thales, der hatte damals mit der Philosophie angefangen“, und dann aber zu sagen: „Das ist ja der Mensch, der mit dem Wasser angefangen hat. Wie ist das denn mit dem Wasser?...“. Das würde ich mal gerne so ein bisschen zusammen bringen, weil ich gemerkt habe: Das, was wir in der Physik machen ist so ziemlich dieses Abarbeiten eines Programmes, das vor 2500 Jahren aufgeschrieben worden ist. Und darüber würde ich gerne reden. Also wenn es darum geht „wie ist das Universum entstanden?“, dann muss man eben mit Parmenides sich mal unterhalten und fragen: „Du hör' mal, wie ist das eigentlich mit dem Universum? Das kann doch nicht einfach aus dem Nichts heraus entstanden sein!“.
Das sind außerordentlich interessante Themen. Das würde ich sicherlich mal anfassen, dass man mal in die Glyptothek geht oder irgendwo hin. Da unten ist ja auch ein schönes Drumherum. Und dann mit einer Kamera mal so 'ne viertel Stunde einen nach dem anderen abarbeiten. Das würde mich sehr reizen. Ich kann mir sehr vorstellen, dass es vielleicht auch den einen oder anderen Zuschauer interessiert, weil es auch wieder so ein bisschen diesen Enterhaken in unserer abendländischen Geschichte festmacht: Dahin - und da kommen wir her - da können wir uns auch festhalten dran. Das ist eine Sache die zieht sich durch 2500 Jahre Geschichte durch und wir sollten solche Dinge nie vergessen. Ich würde gerne etwas Resonanz hören darauf, ob Leute daran Interesse haben.
Manu:
Eines Ihrer Fachgebiete ist die kosmische Plasmaphysik. Ich denke, die meisten Laien können sich darunter überhaupt nichts vorstellen.
Prof. Dr. Lesch:
Das glaube ich! (lacht) Ein Plasma ist der sogenannte „vierte Aggregatzustand“. Wir wissen ja: Es gibt fest, flüssig, gasörmig, und der vierte Aggregatzustand ist, wenn ein Gas so heiß wird, dass die Atome ihre Elektronen verlieren. Das heißt, dann hat man diese positiv geladenen Ionen und die negativ geladenen Elektronen. Jede ordentliche Leuchtstoffröhre, jeder Blitz, jede Hochspannungsentladung ist ein Plasma.
Gehen Sie um 14 Uhr nachmittags ins Deutsche Museum, da sehen Sie Plasmen, dass es nur so kracht. Und das Irre ist nun: 99 Prozent des sichtbaren Universums ist in diesem Plasmazustand. Das heißt, Elektromagnetfelder spielen eine außerordentlich große Rolle in der Entwicklung von Gasen. Bestes Beispiel ist natürlich unsere Sonne. Wir können unsere Sonne sehr genau beobachten. Wir sehen, wie diese Ausbrüche passieren, und dass diese Sonne nicht nur ein leuchtender Körper ist, sondern auch ein elektrischer Dynamo. Denn da werden Magnetfelder auf- und abgebaut. Ich beschäftige mich eben sehr stark mit magnetischen Feldern in diesen kosmischen Plasmen, weil diese magnetischen Felder diese Gase zum Leuchten bringen. Nicht sie selber, aber sie zwingen die Teilchen, auf den Feldlinien zu verharren. Wenn man geladene Teilchen dazu zwingt, dann strahlen sie. Dann sind sie sozusagen „sauer“ und strahlen ihre Energie ab. Und wenn sie hochrelativistisch sind, also sehr sehr hohe Energien haben, dann strahlen sie sehr viel Energie ab. Das tun sie z. B. in der Nähe von Neutronensternen und schwarzen Löchern. Deswegen gehört die kosmische Plasmaphysik zur sogenannten „Hochenergie-Astrophysik“.
Das heißt also, wenn ich mich im Spektrum einordnen würde, dann würde ich sagen, was mich interessiert ist Gammastrahlung und Röntgenstrahlung, allerdings nicht Strahlung, die von sehr heißen Gasen kommt, die thermisch sind, sondern von relativistischen Elektronen, die sich z. B. in Magnetfeldern bewegen. Bei Neutronensternen, den stärksten Magnetfeldern, die wir kennen im Universum, spielt das eine wichtige Rolle. Das ist so mein Arbeitsgebiet. In der Öffentlichkeit kann man das sicher nicht so ohne weiteres erzählen, da das alles sehr theoretisch ist, aber es sind weit über 99 Prozent des Universums in diesem Zustand. Es ist eine Grundlagenforschung.
Manu:
Die Viele-Welten-Theorie besagt, dass es unendlich viele Paralleluniversen gibt, in denen jeder nur erdenkliche Verlauf der Evolution irgendwo stattfindet. In einer dieser Welten verlasse ich diesen Raum als Ihr bester Freund und in einer anderen fand dieses Interview nie statt. Glauben Sie an die Viele-Welten-Theorie? Leben wir in einem Multiversum?
Prof. Dr. Lesch:
Nein. Das ist eine Sache, mit der kann ich überhaupt nichts anfangen. Ehrlich gesagt, ist das der verzweifelte Versuch, um Gott herum zu kommen. Man versteht nicht, warum dieses eine Universum so wahnsinnig tolle Eigenschaften hat, also versucht man, das mit vielen Universen zu machen. Das ist für mich ein naturwissenschaftlich völlig sinnloser Ansatz, denn andere Universen entziehen sich per Definition einer experimentellen Überprüfung. Also warum sollte ich mir darüber Gedanken machen. Es ist natürlich eine philosophische Frage: Wie geht man damit um? Will man jetzt alles durch viele Welten klären, hat man praktisch so ein Casino - Monte Carlo - wird hier gewürfelt, wird da gewürfelt, und überall sind die Universen am Ackern? Dann bin ich natürlich auch ethisch für nichts verantwortlich. Wenn es hier nicht läuft, dann läuft's in 'ner anderen Welt, also wird's schon irgendwie werden.
Die interessantere Aussage ist: „Es gibt nur ein Universum, und wir sollten darüber nachdenken: Kann es einen Designer dafür gegeben haben?“ Im Übrigen verschiebt die Multi-Welten-Theorie die Frage ja auch nur weiter nach hinten, wer dann zuständig ist für diese ganzen Multiversen. Letztlich sind das eben Grenzfragen, die wir nicht beantworten können.
Die interessante Frage wird sein: „Was passiert, wenn wir sterben?“. Wenn es Gott gibt, dann werden wir's ja merken. Wenn es ihn nicht gibt, dann ist das Licht aus. Das mit den Viele-Welten-Theorien halte ich für ein Kapitel, das sehr viele Bücher füllen kann. Aber es ist viel interessanter, sich mit diesem einen Universum auseinander zu setzen. Ich habe mit dem hiesigen Universum und dessen Wunderbarkeiten genug zu tun.
Manu:
Einige Besucher von www.wasistzeit.de sind der Meinung, Zeit existiere nur in unseren Köpfen.
Prof. Dr. Lesch:
Zeit ist ein Maß für die Veränderung. Wir alle wissen von uns selbst, dass wir ganz unterschiedliche Zeiten haben. In Zeiten, in denen es uns gut geht, würde man sie am liebsten anhalten, und wenn es einem mies geht, möchte man sie beschleunigen. Sie ist offenbar gnadenlos, aber sie vergeht immer im gleichen Tempo. Natürlich ist Zeit eine zentrale Kategorie von Naturwissenschaften. Wir schreiben unsere Differenzialgleichungen immer so auf, dass es Zeitableitungen sind und nicht Ortsableitungen. Aber für die Auseinandersetzung des Einzelnen mit dem Phänomen Zeit, nämlich mit seiner eigenen Zeit, seinem eigenen Verfall, das ist ja das, was uns am meisten antreibt. „Warum werde ich jeden Tag älter?“ - das ist eine Auseinandersetzung, die niemandem erspart bleibt. Die können natürlich auch die Naturwissenschaften insgesamt niemandem ersparen. Damit muss man klar kommen, dass man nach einer Weile nicht mehr so aussieht wie mit 20, unter anderem natürlich auch gar nicht mehr so denkt wie mit 20, und vielleicht gar nicht so unglücklich darüber ist, dass gewisse Zeiten eben vorbei sind.
Es ist sicherlich so, dass Zeit in uns eine ganz wichtige Rolle spielt, und dass wir unsere eigene Zeit kreieren. Insofern würde ich denjenigen zustimmen, aber es gibt darüber hinaus auch eine Zeit in der Physik. Die ist wesentlich gnadenloser und kälter und ist nicht das, was wir normalerweise unter Zeit verstehen, weil wir in der Physik die Zeit darüber definieren, wie der Grad an Unordnung in einem System angewachsen ist. Das ist nicht das, was die meisten Leute mit Zeit verbinden. Aber ich denke schon, dass Zeit ein außerordentlich objektives Phänomen ist.
Manu:
Einstein stellte dank seiner allgemeinen Relativitätstheorie fest: „Es gibt keine Gleichzeitigkeit distanter Ereignisse“. Welche Konsequenzen hat diese Aussage auf unser Weltbild?
Prof. Dr. Lesch:
Für das Weltbild des Ottonormalverbrauchers eigentlich überhaupt keine. Denn der bewegt sich mit Geschwindigkeiten weit unterhalb der Lichtgeschwindigkeit. Wenn ich also nach Amerika telefoniere, dann ist es nicht so, dass ich da eine Verzögerung habe, weil die 6000 km von uns entfernt sind, denn die Lichtgeschwindigkeit mit 300'000 km/s überbrückt das locker. Wir merken eigentlich überhaupt nie was davon. Wir merken es ein bisschen, wenn wir ein Navigationssystem im Auto haben. Dann müssen wir schauen, dass wir das entsprechend korrigieren, denn bei den Satelliten da oben, die sich außerhalb der Erde befinden, vergeht die Zeit ein bisschen anders als hier unten und das summiert sich im Laufe des Jahres auf eine gewisse Ortsungenauigkeit. Das ist nicht die Heisenbergsche Ungenauigkeit, sondern hat damit zu tun, dass die Zeiten dann wirklich mal genau gemessen werden müssen. Aber für unser normales Leben spielt das überhaupt keine Rolle.
Es spielt aber natürlich eine sehr wichtige Rolle für die Naturwissenschaften, denn nur so werden gewisse Experimente überhaupt erklärbar, weil wir die Zeitmessung im einen System und die Zeitmessung im anderen System entsprechend der Relativitätstheorie korrigieren können. Das ist eigentlich das Entscheidende. Ansonsten ist die Relativitätstheorie eine Sache, die NUR ins Universum gehört und nicht auf diesen Planeten. Das muss man schlicht zur Kenntnis nehmen. Was natürlich irre ist, wenn Sie schon die allgemeine Relativitätstheorie ansprechen, das ist die Tatsache, dass Massen den Raum krümmen, und dass man das in unserem Sonnensystem so unglaublich genau messen kann.
Im sogenannten „Shapiro-Experiment“ schickt man Radarstrahlen auf die Venus, diese reflektiert diese Strahlen wieder zurück, und da wir die Bahndaten der Venus genau kennen, haben wir natürlich einen exakten Erwartungswert, wann diese Radarstrahlen wieder bei uns ankommen sollen. Nun dreht sich die Venus, die etwas näher an der Sonne ist als wir, immer wieder mal so, dass sie gerade am Rand der Sonne steht. Wenn wir also ein solches Radarexperiment machen, dann läuft dieses Radarsignal extrem nah an der Sonne entlang und man kann messen, Radar sind ja elektromagnetische Wellen, wie der Lichtweg dann etwas länger ist als sonst. Das hat eben damit zu tun, dass die Sonne den Raum krümmt. Das Licht läuft dann als Geodäte an der Oberfläche des Raumes entlang und muss in diese Mulde hinein und wieder heraus. Das sind ein paarhundert Nanosekunden, also nicht viel. Aber man kann es messen. Das ist unglaublich. Für mich ist das ein Punkt, das halte ich auch jedem entgegen, der mir mit irgendwelchen gestriegelten und gebügelten Gedankenexperimenten kommt, dass die Relativitätstheorie doch hinten und vorne nicht stimmen kann. Dann erklär' mir das Experiment. Sag' mir, wie soll ich es anders interpretieren als die Veränderung von Maßstäben in der Nähe schwerer Massen. Und das finde ich ungeheuerlich. Oder diese Sache mit der Rotverschiebung, dass die Uhren eben wirklich anders gehen... bitte, wenn es andere Theorien gibt, die besser sind, dann schreibt sie auf! Aber labert mich nicht immer voll damit, dass es alles Quatsch wäre usw. Also das ist eine Sache, die musste ich an dieser Stelle mal los werden.
Manu:
Darf man dann überhaupt die Frage stellen, ob es in diesem Augenblick entferntes Leben auf anderen Planeten gibt, wenn Gleichzeitigkeit nur in unserer Wahrnehmung existiert?
Prof. Dr. Lesch:
Die Frage darf man stellen. Die Frage ist nur: Wann bekommen wir etwas davon mit? Wenn wir da draußen in den Himmel hinaus schauen, dann sehen wir immer einen Himmel, der schon länger her ist, und damit müssen wir leben. Wir bekommen in diesem Universum nichts anderes angeboten als das, was man unter „Licht“ versteht, elektromagnetischer Strahlung. Mit diesem Problem müssen wir uns herumschlagen. Das geht den anderen genauso. Die müssen auch zusehen, dass sie ein bisschen Strahlung von einem Stern kriegen. Das scheint aber die einzige Möglichkeit zu sein, um einen ganz wichtigen Tatbestand im Universum überhaupt zu gewährleisten, nämlich den von Ursache und Wirkung. Kausalität ist eine ganz grundlegende Eigenschaft in diesem Universum.
Man möge sich mal vorstellen wir hätten verschiedene Zeiten - so, wie wir verschiedene Raumdimensionen haben. Wir würden durchdrehen. Wir würden ja ständig mit unserer eigenen Existenz zu kämpfen haben, die sich gerade in einer anderen Zeitzone versucht, auszumerzen. Das machen sich viele von diesen sogenannten Zeitreisenden überhaupt nicht klar, denn wenn wir das wirklich könnten, wäre das eine Katastrophe. Es gibt zwei Möglichkeiten, warum bis heute noch keine Zeitreisenden hier hergekommen sind. Entweder es geht einfach nicht, oder noch viel schlimmer: Die Menschheit lebt nicht lange genug, um genau diese Technologie kennen zu lernen. Aber das würde bedeuten, dass die Zukunft sich schon längst abgespielt hat.
Manu:
Das SETI-Projekt beschäftigt sich mit der Suche nach außerirdischem Leben. Da wird beispielsweise der Kosmos auf verdächtige Funksignale abgehört. Macht dieses Projekt überhaupt Sinn wenn man bedenkt, dass ein Funksignal von einem entfernten Planeten unserer Milchstraße viele tausend Jahre unterwegs wäre?
Prof. Dr. Lesch:
Es macht Sinn, denn es ist ein außerordentlich interessantes Projekt. Es ist technologisch eine deutliche Herausforderung. Stichwort „Spektograph“. Da wurde also ein Millionen-Mehrkanal-Radiospektograph gebaut. Es ist auch eine Frage, die sehr viele Studenten interessiert, ein intellektuell außerordentlich anspruchvolles Projekt. Ganz unabhängig vom Erfolg geht es um eine Frage, die wir uns schon allein deswegen stellen müssen, weil wir auf diese Art und Weise eine ganze Menge darüber herausfinden, was alles nötig war, um UNS auf die Welt zu bringen. Alleine dafür lohnt es sich, nach Außerirdischen zu suchen, wenn wir auch keinen einzigen finden.
Das ist eine Spiegelfrage. Wir stehen vor einem Spiegel und je tiefer wir mit unseren kosmischen Sonden und Teleskopen sehen - auch in unser Gehirn hinein - umso mehr bekommen wir davon mit, wie wir in diesem Universum eingebaut sind, wie wir vernetzt sind, usw. Und dass wir eben nicht irgendwelche völlig hilflosen Stäubchen am Rande einer uninteressanten Galaxie sind, sondern dass das Universum offenbar an einem, möglicherweise sogar an vielen anderen Plätzen, ein riesen Ding dreht. Und da möchte ich schon wissen, auch wenn die Chance noch so klein ist, ob wir nicht irgendwann mal einen Mitbewohner in diesem Universum kennen lernen. Das halte ich schon für sinnvoll. Sinnvoller auf jeden Fall, als sich auf diesem Planeten irgendwelche Waffen zu bauen, um sich gegenseitig abzuschießen.
Manu:
...so wie es wohl sinnvoll wäre, irgendwann eine Expedition zum Mars zu unternehmen.
Prof. Dr. Lesch:
Genau! Ich habe da mal eine Sendung drüber gedreht. Das ist für mich keine Frage der Wissenschaft. Das ist für mich eine Frage der Visionen. Welche Missionen können wir uns denn überhaupt noch leisten? Wollen wir uns da nicht regelmäßig von irgendwelchen Leuten, die von der Finanzierbarkeit reden, unsere Pläne für die Zukunft kaputt machen lassen? Wenn das so wäre, dann würde heute keine einzige Kirche dastehen, wir hätten keine Museen, wir hätten nichts! Wenn diese Finanzfuzzies schon vor 2500 Jahren am Werk gewesen wären, wir hätten keine Akropolis, die ägyptischen Pharaonen hätten sich irgendwie im Sand verscharren lassen, man kann also heilfroh sein, dass diese Typen früher noch nicht so das Wort hatten. Aber von uns wird, wenn wir Pech haben, nicht viel mehr übrig bleiben als die Aldi-Tüte. Die ist unverrottbar und wird in 2500 Jahren auch noch daliegen.
Das finde ich ein bisschen bedauerlich, dass wir an wirklich große Visionen nicht mehr heran gehen. Das muss ja gar keine Reise zum Mars sein, sondern wir bauen eine Raumstation auf dem Mond, um erst mal Erfahrung zu sammeln. Wenn wir das geschafft haben, werden so viele Neuigkeiten dabei herauskommen, das wird ein solcher Schub werden - man stelle sich das mal vor: Regelmäßig kommen die Nachrichten vom Mars. Man denke an den Film 2001, wo die regelmäßig einen Spaceship-Verkehr gehabt haben. Das finde ich außerordentlich verlockend. Wir brauchen Visionen solcher Natur, um unsere Probleme hier auf diesem Planeten zu lösen.
Kernfusion ist z. B. ein Thema von ähnlicher finanzieller Ausbreitung. Wir müssen da ran. Wir müssen versuchen, Maschinen zu bauen, die uns für geologische Zeiträume Energie zur Verfügung stellen. Es ist einfach schwachsinnig, auf so eine Technologie zu verzichten. Man muss sie aber nicht irgendwie zur alleinigen Technologie machen. Man muss sagen: „Ok, lasst uns Wasserstofftechnologien machen. Lasst uns an die regenerierbaren Energien rangehen.“ Und gerade Deutschland hätte damit die Möglichkeit, in einer ganz wichtigen Frage wieder eine Weltführerschaft zu erreichen. Sollen doch die Amerikaner weiter Öl verbraten. Die werden irgendwann auch merken: „Hups - das Öl ist aus!“.
Solche militärischen Auseinandersetzungen, wie sie uns möglicherweise jetzt ins Haus stehen, werden ja nicht aus irgendwelchen moralischen Gründen geführt, weil der Busch was gegen den Hussein hat. Der hat doch was ganz anderes vor. Im Irak gibt es die zweitgrößten Erdölreserven der Welt. Darauf wollen die hinaus. In der Süddeutschen Zeitung steht heute auf Seite 2: „Die Amerikaner verpennen hier eine Technologie, die in den nächsten 50 Jahren von grundsätzlicher Bedeutung sein wird. Nämlich den Zusammenhang von Sonnenenergie, also Fotovoltaik mit Wasserstofftechnologie“. Das ist es! Aber dafür braucht man eben Visionen. Man muss über seinen eigenen Tellerrand hinausgucken können und nicht glauben, dass nach einem nichts mehr kommen wird.
Manu:
Gibt es Ansätze, die interstellare Reisen eines Tages möglich machen könnten?
Prof. Dr. Lesch:
Nein. Überhaupt keine. Die Triebwerkstechnologien, da sind wir noch weit weg von allem. Da fehlen uns die Energiequellen. Wenn man einen Fusionsreaktor hätte, dann hätte man andere Möglichkeiten, hier tatsächlich tätig zu werden. Wenn man einen Reaktor hat, dann kann man auch eine Miniversion davon bauen und dann könnte man sich unter Umständen mal Gedanken darüber machen, wie man sich mit Plasmatriebwerken, wenigstens im Sonnensystem, in vernünftigen Zeiten bewegen kann. Aber von interstellaren Reisen, davon wage ich gar nicht zu sprechen.
Manu:
Vielen Dank für dieses ausführliche und außerordentlich interessante Interview!
Prof. Dr. Lesch:
War mir ein Vergnügen.